Wie kann ich mich zensieren lassen?
Zur Lage der Schrifteller in Iran / Ein Interview mit Huschang Golschiri
"Heil Huschang," titelte die konservative Teheraner Tageszeitung Keyhan, als bekannt wurde, dass Huschang Golschiri am vergangenen Samstag den Osnabruecker Friedenspreis bekommen wuerde. Einmal mehr betonten Irans Konservative damit, dass sie gegen kulturelle Beziehungen mit dem in ihren Augen ,,verderbten Westen" sind. Der 1937 geborene Golschiri, einer der bekanntesten Autoren Irans, ist ihnen darueberhinaus besonders missliebig, weil er sich in den letzten Jahren fuer die Meinungsfreiheit eingesetzt hat und Gruendungsmitglied des iranischen Schriftstellerverbandes ist. Der noch immer verbotene Verband hat einen Sonderpreis der Stadt Osnabrueck erhalten, mit dem man sich, wie Bundestagspraesident Wolfgang Thierse in seiner Laudatio auf Golschiri sagte, mit den iranischen Schriftstellern solidarisch zeigen wolle.
Da es in der iranischen Geschichte nur selten Parteien oder eine freie Presse gab, spielen die Schriftsteller traditionell eine wichtige Rolle. Das mag erklaeren, dass sich die iranischen Schriftsteller seit mehr als dreissig Jahren vergebens um die Zulassung ihres Verbandes bemuehen. Seine Mitglieder waren sowohl unter Mohammad Reza Pahlawi als auch in der Theokratie, die seine diktatorische Herrschaft abloeste und Freiheit versprach, haeufig Repressionen ausgesetzt.
Dabei galt ihr Engagement vor allem der Abschaffung der Zensur.
Waehrend im Kaiserreich insbesondere politische Themen tabu waren, reagiert die Islamische Republik besonders empfindlich auf Beschreibungen der sexuellen Sphaere und sogar auf Worte wie Busen oder Wein.
Ihren Hoehepunkt erreichte die Repression 1994 nach der Veroeffentlichung des ,,Textes der 134". In dieser Erklaerung prangerten 134 Autoren die Zensur an. Auf ihre Forderung nach Meinungsfreiheit reagierte das Regime mit grosser Haerte: Schriftsteller wurden ermordet, zu Peitschenhieben verurteilt wie der im deutschen Exil lebende Abbas Maroufi oder monatelang vom Geheimdienst verschleppt wie Farradsch Sarkuhi. Die Schriftsteller sahen darin eine ,,konzertierte Aktion zur Ausloeschung der schreibenden Zunft." Als Mohammad Chatami am 23. Mai 1997 von 70% der Bevoelkerung und gegen den erklaerten Willen des religioesen Establishments zum Staatspraesidenten gewaehlt wurde, schoepften die Intellektuellen neue Hoffnung. Viele Schriftsteller befuerworteten die Wahl; Golschiri nannte sie eine "zweite Revolution." Er schrieb damals: "Vieileicht wird nun der Fehler korrigiert, den die Koepfe der Islamischen Republik in den vergan genen achtzehn Jahren begangen haben, eine Freiheit nur mit Fesseln und Bedingungen anzustreben, mit Wenn und Aber und nur fuer sich selbst."
Viele Exiliraner haben Golschiri diese Unterstuetzung veruebelt. Fuer sie ist Chatami ,,einer von denen," ein Mullah, der keine wirklichen Reformen will. Golschiri, der in Iran immer fuer seine politischen Aeusserungen attackiert worden war, fand sich auch waehrend seines Deutschlandaufenthaltes vor zwei Jahren ueblen Beschimpfungen ausgesetzt. Tatsaechlich jedoch haben sich manche der Hoffnungen, die Golschiri in Chatami setzte, erfuellt. Unter Kulturminister Ataollah Mohadscherani, einem Vertrauten Chatamis, durften viele Buecher erscheinen, die jahrelang verboten waren; auch neue Zeitungen und Zeitschriften erhielten eine Lizenz. Die Schriftsteller glaubten deshalb, nun endlich sei der Moment gekommen, ihrem Verband die offizielle Anerkennung zu verschaffen. Doch kaum war diese Absicht bekannt geworden, erhielten Golschiri und fuenf weitere Schriftsteller im Oktober eine Vorladung vor das Revolutionsgericht. Die iranische Justiz untersteht den konservativen Gegenspielern Chatamis. Zwar wurden die Vorgeladenen wieder entlassen, nachdem sie verhoert worden waren , doch zwei der damals Anwesenden sind inzwischen tot. Sie wurden im November 1998 ermordet. Beide waren am hellichten Tag von Unbekannten gekidnappt worden.
Anders als bei den frueheren Morden an Schriftstellern gab es diesmal jedoch einen oeffentlichen Aufschrei. Tausende nahmen an den Beerdigungen teil, und die neuen, kritischen Zeitungen forderten die Aufklaerung der Mordserie. Golschiri, von dem viele annahmen, er werde das naechste Opfer der Killer sein, schrieb zuversichtlich: ,,Heute sind wir nicht mehr allein." Auf den Druck der Oeffentlichkeit hin wurden die Morde aufgeklaert. Sie waren von eigenmaechtig handelnden Geheimdienstlern in Auftrag gegeben worden. Eine Reihe von Verantwortlichen wurde daraufhin verhaftet, der Geheimdienstminister musste zuruecktreten. Fuer die bedrohten Schriftsteller stand indes fest, dass die wahren Urheber der Morde unter den konservativen Gegnern des Praesidenten zu suchen und noch laengst nicht alle verhaftet sind. Sie wollten, so Golschiri, ,,den Sieg unseres Volkes vom 23. Mai in eine Niederlage verwandeln und das Fest unserer Trauer feiern".
Zwar hielt Golschiri die Gefahr noch nicht fuer gebannt, doch er glaubte, die Verhaftungen seien der Anfang vom Ende der Repression gewesen. Dann kam der 4. Maerz 1999 - fuer Golschiri ein ,,historischer Tag": Die Schriftsteller trafen sich, um einen provisorischen Vorstand zu waehlen. Der Kulturminister hatte diese Versammlung genehmigt, weshalb den Schriftstellern nun von Exilanten vorgeworfen wird, sich mit der Regierung auf einen Handel eingelassen zu haben. Golschiri reagiert schnippisch auf diese Kritik: ,,Sollen sie doch! Wenn es eines Tages moeglich sein sollte, unsere Buecher - unser aller Buecher - ohne Zensur zu veroeffentlichen, haben sich diese Naechte, nein diese zehn vergangenen Jahre, diese sechs Monate der Angst und des Schreckens, gelohnt."
Mohammad Chatami wurde von Menschen gewaehlt, die Freiheit und kulturelle Oeffnung wollen. Dass diese Werte sich wieder grosser Beliebtheit erfreuen, ist nicht nur den Schriftstellern zu verdanken. Wesentlich mehr noch als sie haben die sogenannten religioesen Intellektuellen, die theoretische Konzepte zur Vereinbarkeit von Demokratie und Islam vorstellen, zu dieser Bewusstseinsveraenderung beigetragen. Ganz unerheblich ist jedoch auch der Anteil der Schriftsteller nicht. Golschiri schaetzt ihn sehr realistisch ein. In der Zeitschrift lettre international schrieb er vor kurzem: ,,Auch wir Schriftsteller haben einen bescheidenen Anteil gehabt an dieser Flutwelle, die ihren Weg nahm: Einen Blumenstrauss boten wir dar, mit Blumen wie Saidi Sirdschani, Ahmad Mir Alaii und anderen Autoren, die jetzt tot sind. Wir boten ihn dar, der zaertlichen Hand, die fuer diese Vielfalt dankbar ist." Dass Irans Zukunft die Vielfalt ist und nicht die Engstirnigkeit, dafuer stehen das Lebenswerk Huschang Golschiris und die Arbeit des Schriftstellerverbandes.
Welche Bedeutung hat der Preis fuer Sie?
Ich nehme den Preis steflvertretend fuer alle iranischen Schriftsteller entgegen. Es ist ein Preis, der uns fuer den Kampf um die Meinungsfreiheit verliehen wird. Wenn wir keine Bewegung waeren, haetten wir niemals das erreicht, was wir nun erreicht haben. Ausserdem hilft uns der Preis, dass wir hier als Literaten wahrgenommen werden.
Wie beurteilen Sie die Reaktionen der Konservativen auf den Preis?
Eine konservative Zeitung titelte ,,Heil Huschang." Damit wollte sie sagen, die Deutschen sind Faschisten, und Golschiri steht den Faschisten nahe. Mir persoenlich macht diese Beschimpfung nichts - ueber mich wurden schon schlimmere Dinge geschrieben. Aber es tat mir leid wegen der deutschen Kulturleute. Der PEN und die anderen Kulturorganisationen bemuehen sich so sehr um die iranischen Schriftsteller.
Sind Sie optimistisch, dass der iranische Schriftstellerverband in naechster Zukunft offiziell registriert wird?
Den Verband gibt es seit dreissig Jahren, aber er ist nie offiziell anerkannt worden. Ich persoenlich bin nicht sehr optimistisch.
Wie beurteilen Sie die Kulturpolitik der Chatami-Regierung?
Sie versucht ihr Bestes, aber weil sie den Konservativen Rede und Antwort stehen muss, verteidigt sie sogar oeffentlich die Zensur. Aber auch das ist ein historisches Ereignis. Es ist das erste Mal, dass die offiziellen Stellen zugeben, dass es ueberhaupt Zensur in Iran gibt. Trotz alledem erscheinen heute viele Buecher und manchmal auch unzensiert.
Steht der Schriftstellerverband insgesamt hinter der Chatami-Regierung?
Wir stehen hinter keiner Regierung. An jede Regierung stellen wir eine einzige bestimmte Forderung. Wir wollen nur, dass unsere Buecher unzensiert erscheinen.
Hat sich Ihre persoenliche Situation, die Zensur Ihrer Buecher, unter Chatami gebessert?
Meine Buecher prueft der Zensor nicht einmal mehr. Und wenn ich nachfrage, heisst es, ich moege mich ein wenig gedulden. Manche meiner Buecher warten seit zehn, fuenfzehn oder gar zwanzig Jahren auf eine Druckerlaubnis. Das Problem ist wohl, dass ich nicht bereit bin, auch nur einen Satz zu streichen. Man hat mir gesagt, ,,Prinz Ehtedschab" koennte gedruckt werden, wenn ich ein, zwei Abschnitte streiche, aber das werde ich niemals tun. Ich stehe in der ersten Reihe derer, die gegen Zensur kaempfen. Wie kann ich mich zensieren lassen? Wenn die bekannten Autoren sich zensieren lassen - was durchaus passiert -, wird es fuer die anderen, weniger beruehmten noch schwerer, sich der Zensur zu widersetzen.
Katajun Amirpur, Sueddeutsche Zeitung, Nr. 151, Montag 5. Juli 1999 |
List
- Im Nacken immer die Buettel des Systems", Frankfurter Rundschau, 11. Juni 1997
- Ein Unerschrockener Kaempfer fuer die Freiheit", Galileis Schuld, Die Reinpflaz, 23. Juni 1997
- Sie sind unberechenbar", Thomas Dreger, TAZ, 26. Juni 1997
- Als Opfer geschelachtet", Brigit Cerha, 17.12.1998
- Bin ich der naechste?", Der Spiegel, Nr. 51, 1998
- Wir muessen das aushalten", Bjoern Blaschke, ai-Journal, April 1999
- Ich bin den Killern zweimal begegnet", Der verfolgte iranische Schriftsteller Huschang Golschiri erhaelt heute den Remarque - Preis, Berliner Morgen Post/Berliner Allgemeine, 2.7.1999
- Haerte oder Flexibilitaet?", Wolfgang Guenter Lerch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Juli 1999 |